Diskussion
Von den
Nutzern der „internetgestützten Psychotherapie“ (insbesondere des
E-Mail-Kontaktes) wird diese Ergänzung der Behandlung durchweg (!)
geschätzt. Dies liegt sicherlich auch daran, dass es sich um eine
selektierte Gruppe handelt, die schon im Vorfeld der Behandlung
„elektronische Kommunikation und Information“ kannte und nutzte.
Als besonders
hilfreich erlebten die meisten Befragungsteilnehmern folgende Aspekte
-
Die relativ leichte und anonyme
Kontaktaufnahme (ohne befürchten zu müssen, dass sich der Therapeut
„gestört“ fühlt)
-
Die Herstellung von „Beziehung“
und Aufbau von Vertrauen bereits im Vorfeld der Erstbegegnung durch den
schriftlichen Kontakt (erstaunliche Nähe trotz „digitalem Austausch“)
-
das Gefühl auch zwischen den
Sitzungen nicht allein gelassen zu sein (Erleben von „seelischer Nähe“ und
Zuverlässigkeit in der Beziehung)
-
die Möglichkeit, sich in
schwierigen Situationen kurzfristig mitteilen zu können und eine Rückmeldung
zu erhalten
-
Förderung der Motivation zwischen
den Sitzungen
-
die vielen Vorteile des Schreibens
(präzisere Formulierung, Möglichkeit nachzulesen und zu überprüfen,
Mitteilung in entspanntem und „anonymeren“ Zustand, höhere Gewichtung und
besseres Erinnern von Geschriebenem, günstiges Medium für verbal
zurückhaltende Personen, Dokumentation der eigenen Entwicklung)
-
die Wirtschaftlichkeit (weniger
Anfahrten, intensive Fernbetreuung, geringere Rückfallgefahr, Optimierung
der Therapiesitzungen durch Vor- und Nachbereitung, Verkürzung der
Gesamttherapiezeit, Kommunikationsaustausch zu Zeitpunkten, wo es für den
jeweiligen Partner passt)
-
die zeitliche und örtliche
Flexibilität (Kontakt auch bei Klinikaufenthalten)
Wie die
Diagnosen andeuten (überwiegend Depression und Angststörungen), eignet sich
die internetgestützte Psychotherapie vor allem für Patienten, die
vorübergehend einer äußeren Regulationshilfe („Hilfs-Ich“) bedürfen. Ein
solches äußeres (steuerndes) Objekt wird entbehrlich, sobald die inneren
Strukturen nachgereift sind und die Betreffenden sich selbst regulieren
können. Um dies zu erreichen, sind vor allem zu Beginn der Behandlung
höherfrequente Interventionen geboten, die die anfänglich noch schwachen
Strukturen bei Bedarf kurzfristig stützen. Diese Funktion kann das
klassische Raster mit seinem relativ starren Muster aus meist langfristig zu
gleichen Zeiten vereinbarten Sitzungen nur schwer erfüllen, zumal der
Patient „zwischendurch“ ganz auf sich verwiesen ist und im Warten auf die
nächste Sitzung nicht selten Rückschritte macht. Letzteren lässt sich mit
Hilfe flexibler und relativ kurzer E-Mail-Kontakte in vielen Fällen
begegnen, so dass sich vergleichsweise schnell stabilere Strukturen bilden
als bei einer klassischen Therapie.
Wie die
Erfahrungen mit der hier vorgestellten Gruppe zeigen, funktioniert das
Konzept bei entsprechend selektierten Patienten. Sie müssen den Umgang mit
dem Medium Internet können und mögen und sollten Freude am schriftlichen
Ausdruck haben. Nicht umsonst machen oder machten rund 70 Prozent der
Teilnehmer ein Studium. Männer (50 Prozent) sind im Vergleich zum üblichen
Psychotherapie-Klientel überrepräsentiert.
Wenn die
genannte Voraussetzungen vorliegen, ist meist schon nach fünf bis zehn
Doppelsitzungen (kombiniert mit internetgestützter Psychotherapie) eine
deutliche Stabilisierung des Patienten erreicht. Die Mehrzahl der Patienten
ist dann wieder in der Lage, ihren Alltagsaufgaben zu genügen oder erlebt
ihr Problem als deutlich weniger belastend. „In Ruhe“ und teilweise bei noch
größeren Sitzungsabständen lassen sich dann weitere hilfreiche Einsichten,
Einstellungen und Verhaltensmöglichkeiten erschließen und so die
Selbstregulationsfähigkeit des Patienten langfristig optimieren. Für den
„Krisenfall“ wird dem Patienten die Möglichkeit eingeräumt, sich jederzeit
und unmittelbar per E-Mail zu melden. Allein das Wissen um diese Möglichkeit
reicht oft aus, um die Krise letztlich doch selbstständig zu bewältigen. Für
die rasche Wiedergewinnung der Arbeitsfähigkeit könnte sich die
„internetgestützte Psychotherapie“ sogar zur Methode der Wahl entwickeln.
Die Sorge,
„internetgestützte Psychotherapie“ könne den Patienten vom Therapeuten
abhängig machen, wird von der Erfahrung durchweg widerlegt. Genau das
Gegenteil scheint der Fall zu sein. Vor allem stark im Leben engagierte
Patienten regen oft an, Sitzungsabstände zu verlängern und sich stattdessen
vermehrt per E-Mail auszutauschen. Offenbar fördert das Medium die rasche
Internalisierung „guter steuernder Objekte“ und die Generalisierung guter
Erfahrungen, die im persönlichen Kontakt mit dem Therapeuten gemacht wurden.
Für die
„internetgestützte Psychotherapie“ liegen – soweit ersichtlich - bislang nur
wenige publizierte Erfahrungen vor. Immerhin bestätigen mehrere
Untersuchungen aus dem anglo-amerikanischen Schrifttum, dass auch eine
Telefonbetreuung (teilweise durch nichtärztliches Personal) therapeutisch
sehr effizient sein kann. Andere Beiträge beschreiben erfolgreiche Modelle
der Depressionsbehandlung per Computer (Proudfoot et al. 2004) oder per
Bildschirm als „Telepsychiatrie“ (Ruskin et al. 2004). Insofern gibt es
bereits genügend Argumente dafür, sich allmählich von überholten Regularien
der Psychotherapie zu trennen. Diese wurden in Zeitepochen entwickelt, in
denen selbst das Telefon noch nicht weit verbreitet und E-Mail-Kontakte
nicht einmal vorstellbar waren. Wenn schon überall in der Medizin technische
Fortschritte dankbar genutzt werden, warum sollte das nicht auch in der
psychotherapeutischen Medizin möglich sein?
Wie schon an
verschiedenen Stellen des Beitrags anklang, hat eine internetgestützte
Psychotherapie das Potenzial, in vielfacher Hinsicht wirtschaftlich zu sein.
So lässt sich nicht nur die Zahl der (teuren) Sitzungen verringern und die
Therapiedauer verkürzen. In der hier praktizierten Form profitieren auch
Patient (weniger An- und Abreisen) wie auch der Arbeitgeber (weniger
Zeitausfälle durch Therapiesitzungen) von dem neuen Angebot. Wer bislang
extreme wirtschaftliche Nachteile hat, ist allein der Psychotherapeut: Sein
teilweise erhebliches „Internet-Engagement“ wird bis heute mit keinem Cent
vergütet, vielmehr wird er für sein innovatives Verhalten eher bestraft.
Denn eine Verringerung der oft bürokratisch sehr aufwendig beantragten
Therapiestunden führt dazu, dass pro Jahr mehr Patienten betreut werden
müssen, was jedes Mal mit erheblichem bürokratischen Zusatzaufwand verbunden
ist.
Zumindest für
Privatpatienten ließe sich relativ unkompliziert eine Lösung entwickeln,
indem sich deren Versicherer im Falle einer „internetgestützten
Psychotherapie“ (gemäß der hier skizzierten Kriterien) zu folgenden zwei
Zusagen bereit erklären würden: 1. pro Sitzung wird der GOÄ-Steigerungssatz
auf den Faktor 3 erhöht (statt 2,3), 2. Doppelsitzungen werden grundsätzlich
als sinnvolles Setting akzeptiert (und nicht als Ausnahme von der Regel).
In einer
weiteren Studienphase ist geplant, Patienten wie auch Besuchern
einschlägiger Websites geschlossene Fragen zu einzelnen Aspekten der
„internetgestützten Psychotherapie“ vorzulegen (z. B. Wie schätzen Sie die
Nützlichkeit eines solchen Angebots auf einer Skala von 1 bis 5 ein? Welchen
Betrag würden Sie für eine E-Mail-Beratung gegebenenfalls selbst bezahlen?)
Die Ergebnisse sollen quantitative Aussagen zur internetgestützten
Psychotherapie ermöglichen.
Einschränkend
bleibt nachzutragen, dass es sich hier um qualitative Erfahrungen eines
einzelnen Therapeuten handelt, der diese Studie nur aus professioneller
Begeisterung und überwiegend in seiner knapp bemessenen Freizeit durchführen
konnte. Die Tatsache, das manche Therapeuten-E-Mail als Uhrzeit
„Mitternacht“ vermerkte, blieb den Patienten nicht verborgen und wurde von
ihnen (mit Recht) als Wertschätzung ihrer Person gedeutet. Allen
teilnehmenden Patienten sei an dieser Stelle herzlich für ihre Mitwirkung
gedankt.
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